Neues Hebammenstudium, neue Möglichkeiten

Unimedizin Erlangen, Würzburg und Augsburg

Wie drei universitäre Standorte das neue Studium für Hebammenwissenschaft umsetzen, warum die Akademisierung sinnvoll ist und was sich dadurch ändert.

Die Ausbildung zur Hebamme wird in Deutschland künftig nur noch in Form eines Studiums möglich sein. Die drei bayerischen Unimedizin-Standorte Erlangen, Würzburg und Augsburg haben das Fach Hebammenwissenschaft kürzlich eingeführt oder sind gerade dabei, es zu etablieren.

Akademisierung wird seit Langem gefordert

Dass die Ausbildung zur Hebamme künftig nur noch als Studium möglich sein soll, gibt das Hebammenreformgesetz vor, das seit Anfang 2020 in Kraft ist. Eine sehr sinnvolle Lösung, so die Einschätzung des Deutschen Hebammenverbands. Denn das Berufsgesetz und die Prüfungsverordnung der Hebammen stammen aus den 80er Jahren und wurden seitdem inhaltlich nicht überarbeitet. Die Anforderungen, die der Hebammenberuf mit sich bringt, haben sich mit den Jahren aber stark verändert. Viele fordern deshalb schon lange, dass auch die Ausbildung daran angepasst wird. Wer Hebamme werden will, muss deshalb künftig ein duales Studium durchlaufen und die Universität oder Hochschule mit einem Bachelor abschließen. Deutschland ist mit der Umsetzung Schlusslicht in der EU.

„Die Hebammenausbildung war auch bisher schon sehr gut“, so Mira Pflanz, die den neuen Studiengang für Hebammenwissenschaft in Würzburg leitet. „Man hat in diesem Beruf viel Verantwortung, muss interdisziplinär und interprofessionell arbeiten, dies wird im Rahmen des Bachelorstudiengangs schon frühzeitig aufgegriffen. Die Neuerungen, die das Studium mit sich bringt, finde ich persönlich sehr sinnvoll“, so die Hebamme, die auf ihre Ausbildung noch einen Bachelor in Gesundheitsmanagement und einen Master in Berufspädagogik draufgesetzt hat.

Übergang ist gut gelungen

Im Wintersemester 2022/23 haben in Würzburg die ersten 22 Studierenden angefangen. „Die Umstellung bringt viele Herausforderungen mit sich – und wie jede Veränderung auch eine gewisse Unruhe“, so Pflanz. „Uns war es wichtig, dass wir auf der einen Seite Bewährtes beibehalten – die hiesige Hebammenschule besteht seit 1805 – und auf der anderen Seite die Lehre durch neue Elemente bereichern.“

„Die Medizin blickt auf einen jahrhundertelangen Prozess der Akademisierung zurück. Bei den Gesundheitsberufen muss sich das erst etablieren. Insofern leisten wir hier ganz viel Entwicklungsarbeit.“

Sonja Sponsel, Studiengangkoordinatorin Hebammenwissenschaft der FAU Erlangen-Nürnberg

Auch in Erlangen, wo der Studiengang Hebammenwissenschaft nun im dritten Semester läuft, ist dies zum Glück gelungen: „Unsere Hebammenschule besteht seit 1874 und wird bis 2024 nach 150 Jahren insgesamt 4306 Hebammen erfolgreich ausgebildet haben. Uns war es wichtig, diesen Erfahrungsschatz und dieses Wissen zu erhalten und ins Studium zu integrieren. Somit konnten wir vor allem für die praktische Ausbildung bestehende Strukturen übernehmen und für den Studiengang nutzen“, sagt Studiengangkoordinatorin Sonja Sponsel, die selbst Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin ist und einen Bachelor in Pflegemanagement und einen Master in Public Health gemacht hat. Den theoretischen Teil ihres Studiums absolvieren die werdenden Hebammen an der Uni, den praktischen an der Uniklinik Erlangen. Durch die Überlappung von Ausbildung und Studium sind derzeit 68 Studierende und 40 Auszubildende im Einsatz, die unter anderem jeweils 40 Geburten begleiten müssen. „Um das gewährleisten zu können, haben unsere Studierenden neben ihren Einsätzen am Uniklinikum auch die Möglichkeit, einen Praxiseinsatz im Kreißsaal eines Kooperationsklinikums zu wählen“, so Sponsel.

Studium Hebammenwissenschaft

Abschluss:
Bachelor of Science (B. Sc.) und Berufszulassung Hebamme

Studienart:
Dualer primärqualifizierender Bachelorstudiengang

Regelstudienzeit:
7 Semester

Studienbeginn:
jeweils zum Wintersemester

Erlangen
Beginn des Studiengangs: Wintersemester 2021/2022
Anzahl Studienplätze: 35
Weitere Infos

Würzburg
Beginn des Studiengangs: Wintersemester 2022/2023
Anzahl Studienplätze: 22
Weitere Infos

Augsburg
Beginn des Studiengangs: Start zum Wintersemester 2023/2024
Anzahl Studienplätze: 20
Weitere Infos

Forschende Hebammen und evidenzbasierte Geburtshilfe

Mit dem Studium kommen aber auch neue Themen hinzu: Zum Beispiel sollen Hebammen verstärkt an wissenschaftliches Arbeiten und Forschung herangeführt werden. Ein zentrales Thema ist auch die Evidenzbasierung, also das Anwenden von Methoden, deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen ist. „In der Medizin ist es gängig, dass man nach wissenschaftlichen Leitlinien arbeitet“, sagt Mira Pflanz. „In Ländern wie Großbritannien, Australien oder Kanada arbeiten auch Hebammen seit vielen Jahren mit solchen Leitlinien. Hierzulande werden die Hebammen im Zuge der Akademisierung verstärkt bei der gemeinsamen Leitlinienerstellung einbezogen sein.“ Durch das Studium sollen Hebammen befähigt werden, Studien zu interpretieren, aber vor allem auch selbst durchzuführen und aufzubauen.

Evidenz – das ist ein Wort, das wir im Studium sehr häufig hören. Wir sollen den nötigen Feinblick bekommen, um beurteilen zu können, auf welche Studien man sich verlassen kann.“

Hannah Lindner, Studentin der Hebammenwissenschaft an der FAU Erlangen-Nürnberg

Mira Pflanz ist davon überzeugt, dass die Hebammen durch das Studium ihr eigenes Fach in Zukunft mehr mitgestalten werden, auch in der Forschung. In vielen Fragen sei der Blickwinkel der Hebammen nämlich nochmal anders als der ärztliche. Auch Sonja Sponsel sieht hier ein riesiges Forschungsfeld. Und sie findet, dass die Akademisierung wichtig ist, damit ihre Zunft auf Augenhöhe mit Medizinerinnen und Medizinern diskutieren kann.

Es darf keine Kluft entstehen

Was Tätigkeit und Bezahlung angeht, wird es aber keine Unterschiede zwischen studierten und examinierten Hebammen geben. An allen drei Standorten ist man sehr darum bemüht, dass hier keine Kluft entsteht. Transparenz bei den Veränderungen spielt dabei eine große Rolle. Außerdem sollen sich die werdenden Hebammen begegnen und gegenseitig unterstützen. In Erlangen klappt das schon sehr gut, wie Eva Reichel und Hannah Lindner, beide aus dem ersten Studienjahrgang 2021/2022 und derzeit im dritten Semester, berichten: „Der Kontakt zwischen den Studierenden und den Auszubildenden ist sehr gut. Im Kreißsaal und auf den Wochenbettstationen konnten die Schülerinnen uns anfangs viel beibringen, weil sie auf diesem Gebiet einen Vorsprung hatten.“

Auch in Augsburg will man auf ein solches Peer Teaching setzen. „Da wir mit anderen Standorten eng vernetzt sind, sind wir auf mögliche Probleme gut vorbereitet und können gezielt gegensteuern“, so die Studiengangkoordinatorin der Uni Augsburg, Annette Kluge-Bischoff. Sie ist Hebamme und hat zudem einen Bachelor in Berufspädagogik im Gesundheitswesen und einen Master in Public Health.

„Man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Deshalb schauen wir uns auch an, was die anderen Unis machen, und kooperieren mit Standorten, die den Studiengang bereits eingeführt haben.“

Annette Kluge-Bischoff, Studiengangkoordinatorin Hebammenwissenschaft der Universität Augsburg

Bildungssackgasse auflösen

20 Studienplätze sind in Augsburg für den Start im Wintersemester 2023/24 geplant. Annette Kluge-Bischoff rechnet mit 200 bis 300 Bewerberinnen. Der Beruf sei zwar beliebt, aber die Verweildauer darin mit durchschnittlich gerade einmal sieben Jahren gering. Ein Grund: Hebammen steckten bisher in einer Bildungssackgasse. Es gab für sie kaum Aufstiegschancen. Künftig wird es möglich sein, ein Masterstudium anzuschließen, zu promovieren, in der Lehre oder Forschung Fuß zu fassen.

Eva Reichel aus Erlangen überlegt bereits, nach dem Bachelor noch einen Master zu machen. Auch eine akademische Laufbahn kann sie sich gut vorstellen. „Ich habe mir die Lebensläufe promovierter Hebammen angeschaut. Die haben oft Auslandsaufenthalte gemacht, das finde ich sehr interessant.“ Hannah Lindner dagegen weiß noch nicht, ob sie auf ihr Studium noch etwas draufsetzen will, weil ihr die Hebammenarbeit so viel Spaß macht. Einen berufsbegleitenden Master könnte sie sich aber vorstellen.

Synergien an Universitäten sind vorteilhaft

Den Studiengang Hebammenwissenschaft gibt es nicht nur an Universitäten, sondern auch an Fachhochschulen. Universitäre Standorte mit Medizinfakultäten und Uniklinika bieten deutliche Vorteile. Sie ermöglichen eine ineinandergreifende und fein abgestimmte Ausbildung aus einem Guss und punkten unter anderem auch durch die räumliche Nähe. Denn theoretische und praktische Lehre sind oft auf dem gleichen Campus oder zumindest in der gleichen Stadt angesiedelt. Uni-Frauenkliniken bieten als Maximalversorger zudem die Möglichkeit, auch schwierige Geburten und Notfallsituationen kennenzulernen.

Überhaupt bietet eine Medizinische Fakultät vieles, was man für eine hochwertige interdisziplinäre Lehre braucht – von der Anatomie über Hygiene und Pharmakologie bis hin zur Früh- und Neugeborenenmedizin. „Man kann hier viele Synergien nutzen“, so Mira Pflanz. Wie viel hier möglich ist, haben auch Eva Reichel und Hannah Lindner aus Erlangen schon erlebt. Aus einem Anatomiekurs heraus entstand bei den Studierenden der Wunsch, mehr über Ultraschalluntersuchungen zu lernen. Das wurde ihnen spontan ermöglicht – in Form von Ultraschallkursen in Kleingruppen.

Dass sich werdende Hebammen und werdende Ärztinnen und Ärzte schon im Studium begegnen, sollte man ebenfalls gewinnbringend nutzen, findet Sonja Sponsel: „Alle Berufsgruppen müssen gut zusammenarbeiten, damit eine gute Patientenversorgung stattfindet. Wir wollen deshalb die Interprofessionalität voranbringen.“ Zum Beispiel könnten die Studierenden im Skills Lab – wo praktische Fertigkeiten trainiert werden – gemeinsam für Notfallsituationen üben.

Allerdings: Wie setzt man das konkret um bei 200 Medizinstudierenden und 35 werdenden Hebammen pro Jahr? Dafür müssen weitere Lösungen gefunden werden. Das Engagement ist groß, nicht nur in Erlangen und in Würzburg. Annette Kluge-Bischoff etwa glaubt, dass der Modellstudiengang in Augsburg, der kommunikative Kompetenzen von Medizinstudierenden besonders im Blick hat, Chancen bietet. Ihr Motto: „Egal ob Ärztin oder Hebamme, wir alle verfolgen doch letztlich dasselbe Ziel: dass Mutter und Kind gesund nach Hause gehen.“

„Als Hebamme muss man viel wissen, um wenig zu tun, also möglichst wenig einzugreifen und die physiologischen Prozesse zu achten und zu fördern. Für diese gekonnte Nichtintervention muss man auch sehr gut medizinisch ausgebildet sein. An einer medizinischen Fakultät ist vieles von dem vorhanden, was es dafür braucht.“

Mira Pflanz, Leiterin des Studiengangs Hebammenwissenschaft der JMU Würzburg

Personen von links nach rechts:
Annette Kluge-Bischoff, Mira Pflanz, Hannah Lindner, Eva Reichel und Sonja Sponsel

Fotos unten: Simon Krikava/Uniklinikum Erlangen

Für Fragen

Universitätsmedizin Bayern (UMB) e.V.
Geschäftsstelle
c/o Universitätsklinikum Würzburg
Josef Schneider Str. 2, D7
97080 Würzburg
info@unimedizin-bayern.de